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Mathematisch-Physikalische Löwenjagd

Ein Artikel von H. Petard in American Mathematical Monthly aus dem Jahre 1938, abgedruckt gewesen in einer Ausgabe der MaPhya, der damaligen Fachschaftszeitung der Fachschaften Mathe und Physik der TU Braunschweig, ca. 1990.


Mathematische Methoden

Die Hilbertsche (axiomatische) Methode

Wir stellen einen versperrten Käfig auf einen vorgegebenen Punkt der Wüste. Hierauf führen wir das folgende logische System ein:

  • Axiom 1: Die Menge der Löwen in der Wüste Sahara ist nicht leer.
  • Axiom 2: Wenn es einen Löwen in der Wüste Sahara gibt, dann gibt es einen Löwen im Käfig.

Verfahrensvorschrift: Wenn $P$ ein Theorem ist, und wenn weiterhin gilt: $P \Rightarrow Q$, dann ist auch $Q$ ein Theorem.

  • Theorem 1: Es gibt einen Löwen im Käfig.

Die geometrische Methode der Inversion

Wir stellen einen kugelförmigen Käfig in die Wüste, betreten ihn und verschließen ihn von innen. Darauf vollführen wir eine Inversion bezüglich des Käfiggitters. Der Löwe ist daraufhin im Innern des Käfigs, wir jedoch außerhalb.

Die Methode der projektiven Geometrie

Ohne Verlust der Allgemeinheit können wir die Wüste Sahara als eine ebene Fläche betrachten. Wir projizieren die Fläche auf eine Linie und daraufhin die Linie auf einen inneren Punkt des Käfigs. Dadurch wird der Löwe auf denselben Punkt abgebildet.

Die Bolzano-Weierstraß Methode

Man teile die Wüste durch eine Linie, die von Nord nach Süd verläuft. Der Löwe ist entweder im Ostteil oder im Westteil. Nehmen wir an, er wäre im Westteil. Daraufhin halbiere man diesen Teil durch eine Linie, die von Ost nach West läuft. Der Löwe ist entweder im Nord- oder im Südteil. Lassen Sie uns annehmen, dass er im Nordteil sei. Wir können diesen Prozess beliebig lange fortsetzen und konstruieren auf diese Weise bei jedem Schritt einen immer engeren Zaun um die gewählte Gegend. Der Durchmesser der gewählten Unterteilungen nähert sich Null, so dass der Löwe von einem Zaun mit beliebig kleinem Durchmesser umgeben ist.

Die mengetheoretische Methode

Wir stellen fest, dass die Wüste ein separierbarer Raum ist. Sie enthält daher eine abzählbar dichte Menge von Punkten, aus denen eine Folge gebildet werden kann, die den Löwen als Grenzwert hat. Daraufhin nähern wir uns auf dieser Folge verstohlen dem Löwen, wobei wir eine geeignete Ausrüstung mit uns tragen.

Die Peanosche Methode

Konstruiere mit den üblichen Methoden eine stetige Kurve, die durch jeden Punkt der Wüste geht. Es wurde bereits bewiesen,1) dass man solche Kurve in beliebig kurzer Zeit durchfahren kann. Mit einem Speer bewaffnet durchfahren wir nun die Kurve in einer Zeit, die kürzer als jene ist, die der Löwe benötigt, um sich um seine eigene Länge fortzubewegen.

Eine topologische Methode

Wir stellen fest, dass ein Löwe zumindest den Zusammenhang eines Torus aufweist. Wir betten die Wüste in einen vierdimensionalen Raum ein. Daraufhin kann man2) eine solche Deformation ausführen, dass der Löwe bei seiner Rückkehr in den dreidimensionalen Raum in einem verknoteten Zustand vorliegt. Er ist dann hilflos.

Die Cauchysche oder funktionentheoretische Methode

Wir betrachten eine analytisch löwenwertige Funktion $f(z)$. Es sei $\Phi$ der Käfig. Betrachten wir das Integral

\[\frac{1}{2 \pi \imath}\int_{C}^{} \frac{f(z)}{z-\Phi} d \Phi\]

wobei $C$ die Grenze der Wüste bedeutet. Sein Wert ist $f(\Phi)$, d.h., ein Löwe ist im Käfig.3)

Die Wiener-Tauber-Methode

Wir beschaffen uns einen zahmen Löwen, L1, aus der Klasse L(- infty, +infty), dessen Fouriertransformierte nirgends verschwindet und setzen ihn in der Wüste aus. L1 konvergiert dann gegen unseren Käfig. Aufgrund des allgemeinen Wiener-Tauber-Theorems4) wird dann jeder andere Löwe L gegen denselben Käfig konvergieren. (Als eine Alternative können wir uns statt dessen beliebig nahe an L annähern, indem wir L1 durch die Wüste translatieren.5))

Methoden aus der theoretischen Physik

Die Diracsche Methode

Wir stellen fest, dass wilde Löwen, ipso facto, in der Wüste Sahara nicht beobachtet werden können. Wenn es überhaupt Löwen in der Sahara gibt, sind sie daher zahm. Das Einfangen eines zahmen Löwen bleibt dem Leser als Übungsbeispiel überlassen.

Die Schrödingersche Methode

Zu jedem Augenblick gibt es eine nicht verschwindende positive Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Löwe im Käfig befindet. Setz' dich dazu und warte.

Die Methode der Kernphysik

Setze einen zahmen Löwen in den Käfig und wende einen Majorana-Austauschoperator6) zwischen ihm und einem wilden Löwen an. Als eine Variante lassen Sie uns annehmen, dass wir einen männlichen Löwen fangen wollen. Wir setzen eine zahme Löwin in den Käfig und wenden daraufhin einen Heisenberg-Austauschoperator7) an, der die Spins austauscht.

Eine relativistische Methode

Wir verteilen über die Wüste Löwenköder, der große Mengen des Begleitsterns Sirius beinhaltet. Wenn genügend von dem Köder gefressen wurde, senden wir einen Lichtstrahl über die Wüste. Dieser wird sich rund um den Löwen wickeln, so dass er ganz verwirrt wird und man sich ihm ungestraft nähern kann.

Methoden aus der experimentellen Physik

Die thermodynamische Methode

Wir konstruieren eine halbdurchlässige Membran, die alles außer Löwen durchlässt, und ziehen sie über die Wüste.

Die Methode der Atomspaltung

Wir bestrahlen die Wüste mit langsamen Neutronen. Der Löwe wird radioaktiv und ein Zerfallsprozess setzt ein. Wenn der Zerfall hinreichend weit fortgeschritten ist, wird der Löwe nicht mehr imstande sein, Widerstand zu leisten.

Die magneto-optische Methode

Wir pflanzen ein großes linsenförmiges Beet von Katzenminze (Nepeta Cataria), dessen Achse parallel zur Richtung der Horizontalkomponente des Erdmangnetfelds verläuft und setzen eine Käfig in einen ihrer Brennpunkte. Wir verteilen über die Wüste große Mengen von magnetisiertem Spinat (Spinaca Oleracea), der, wie allgemein bekannt ist, einen hohen Eisengehalt hat. Der Spinat wird von den pflanzenfressenden Bewohnern der Wüste verzehrt, die wiederum von den Löwen aufgefressen werden. Die Löwen sind daraufhin parallel zum Erdmagnetfeld orientiert und der resultierende Strahl von Löwen wird durch die Linse aus Katzenminze in den Käfig focussiert.

1)
Nach Hilbert, vgl. E.W. Hobson, The Theory of Functions of a Real Variable and the Theory of Fourier's Series (1927), Band 1, S. 456-457
2)
H. Seifert und W. Threifall, Lehrbuch der Topologie (1934), S. 2-3
3)
Aufgrund des Picardschen Theorems (W.F. Osgood, Lehrbuch der Funktionentheorie, Band 1, (1928), S. 178) können wir jeden Löwen mit höchstens einer Ausnahme fangen.
4)
N. Wiener, The Fourier Integral and Certain of Its Applications (1933), S. 79-74
5)
N. Wiener, ibd., S. 89
6)
Vgl. z.B. H.A. Bethe und R.F. Bacher, Reviews of Modern Physics (1936), S. 82-229, im besonderen S. 106-107
7)
s. 6
schule/ma/mwa/loewen.1528540227.txt.gz · Zuletzt geändert: 2018/06/09 12:30 von ahrens
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